DER HERRSCHER ÜBER die d'zenots aber war Chac, der Regengott. Seine
Untertanen warfen Gold, Jade und Menschen in die Quellen, um Chac anzurufen und
um Regen zu bitten. Sie stellten ihre Opfer an den Rand des Kraters. Und während
Feuer um sie herum flackerten und Trommeln und Rasseln geschlagen wurden,
flüsterte der Hohepriester ihnen Botschaften an Chac ins Ohr. Dann stiess er die
Opfer hinab. Wenn sie die Nacht in den Quellen überlebten, durften sie ins Leben
zurückkehren. Doch ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt.
Geologen wunderten sich lange Zeit, warum die cenotes in einem makellosen
Halbkreis auf der Halbinsel Yucatan angeordnet sind. Anfang der achtziger Jahre
fand der Geophysiker Antonio Camargo eine Antwort. Er entdeckte unter der
Halbinsel einen gigantischen Krater und rekonstruierte folgenden Ablauf: Vor 65
Millionen Jahren schlug ein Meteorit von 20 Kilometer Durchmesser in das
Flachmeer, das Yucatan zu jener Zeit bedeckte; ein kosmischer Unfall, der
wahrscheinlich den Tod der Dinosaurier bedeutete. Der Meteorit schlug einen
Krater von über 180 Kilometer Durchmesser in die Erde. Mehr als fünf Kilometer
Erdkruste schmolzen und schossen in die Höhe; Millionen Tonnen Schwefel
rauschten in die Atmosphäre, und das Schwefeldioxid verdunkelte für Jahrzehnte,
vielleicht Jahrhunderte die Sonne. Die Erde wurde eisig, viele Pflanzen und
Tierarten starben aus - und mit ihnen die kaltblütigen Dinosaurier. In den
folgenden Jahrmillionen lagerten sich Kalksedimente in dem Krater ab. Die
Erdplatte, auf der Yucatan liegt, hob sich; anschließend sickerte Regen durch
den porösen Kalkstein und höhlte ihn aus. aus dem Kalzium und Bikarbonat, das
die Regentropfen auf dem Weg durch den Kalkstein aufnahmen, formten sich die
Stalaktiten und Stalagminten. Und als das Meer vor etwa 10 000 Jahren gegen Ende
der Eiszeit anstieg, flutete es eine fantastische Unterwelt.
Quelle GEO Special Nr. 6 Dez./Jan. 2001/2
Letzte Änderung: Samstag, 16. September 2023 15:50