Der Kurs führte vom schottischen Glasgow durch den stürmischen Atlantik, in dem 1941 deutsche U-Boote darauf lauerten, leichte Beute zu machen. Das Ziel der Reise war der Hafen von Tawfiq (Südausgang des Suezkanals). Die Ladung war für die britische Truppen in Ägypten bestimmt. Deutschland und Italien (Achsenmächte) verhinderten im Luftkrieg gegen Malta für einige Zeit ein Durchkommen britischer Geleitzüge von Gibraltar nach Alexandria. Das Risiko einer Feindberührung auf dem Atlantik und rund um das Kap der Guten Hoffnung galt als viel geringer, anderseits war die Route mit > 12'000 sm achtmal so lang wie durch den Suezkanal. Ein Umweg, der aber gerechtfertigt schien. Ein Geleitzug aus 16 Schiffen schien als sicher das Ziel unbeschadet zu erreichen. Ein Schiff des Konvois hiess Thistlegorm (Blaue Distel).
Länge über alles: 126.50 Meter
Breite: 17.70 Meter
Tiefgang: 7.45 Meter
Vermessung: 4 898 BRT
Schiffstyp: Frachtschiff
Antrieb: Dampfmaschine, 2 Kessel
Leistung: 1850 PS
Geschwindigkeit: 10.5 Knoten
Stapellauf: 9. April 1940
Bauwerft: Joseph L. Thompson & Sons Ltd.
Bauort: Sunderland (bei Newcastle GB)
Reederei: Albyn-Line, Sunderland
Ladung: 2 Dampflokomotiven mit Schlepptender und Wasserwagen, Panzer, Waffen,
Munition, Fahrzeuge, Motorräder, Flugzeugteile, Versorgungsgüter, Ersatzzeile
Besatzung: 39
Passagiere: -
Untergang: 6.10.1941 1.30 Uhr
Ursache: Bombardierung durch deutsche Kampfflugzeuge
Sonstiges: Versenkt durch einen Bomber (Heinkel HE-111) des Kampfgeschwader KG 26
(Löwengeschwader) - bei der Bombe handelte es sich um eine 2'000 kg Bombe, die Speziell
zur Zerstörung von Schiffszielen und anderen befestigten Objekten entwickelt worden war.
Unter den 39 Mann Besatzung waren neun Navy-Soildaten, die für die Führung und Wartung
der Bordgeschütze zuständig waren.
Verluste: 9 Personen, fünf davon Marinesoldaten
GPS-Position: N 27° 48,849' E 33° 55,222'
Ort: Sha'ab Ali
Maximale Tiefe: 30 Meter
Minimale Tiefe: 17 Meter
In den vier Laderäumen der Thistlegorm stapelten
sich kriegswichtige Güter. Leichte Schützenpanzer stauten sich beben
verschiedenen Lastkraftwagen unter Deck. Ob Zwei- oder Dreiachser, auf ihren
Ladeflächen zurrte man zudem Dutzende von Motorrädern fest. Auch kleinere,
geländegängige Mannschaftsfahrzeuge wurden mit zusätzlichen
Ausrüstungsteilen vollgestopft.
Generatoren und einachsige Anhänger mit Wasser- und Treibstofftanks standen in
den Ecken der Laderäume neben Ersatztragflächen für Flugzeuge,
Flugzeugmotoren laschte man in der Nähe von Kisten mit Karabinern, Minen,
Gewehrgranaten und Gewehr Munition fest. Grössere Granaten wurden in
Viererpacks mittschiffs verladen. Hinzu kamen noch gewaltige Geschosse von etwa
37 cm Durchmesser für die schwere Schiffsartillerie und für Küstenbatterien
sowie Torpedos und Grundminen. Separat verstaute man die dazu gehörenden
Zünder neben Reifen für Fahrzeuge und Motorräder, neben Gummistiefeln,
Funkgeräten und weiterer Ausrüstung. Auf dem Oberdeck fand sich weiterer Platz
für zwei Dampflokomotiven mit Schlepptendern und zwei Wasserwagen. Dei SS
Thistlegorm glich einem schwimmenden Waffenarsenal.
Der Truppentransporter Queen Mary blieb deutschen
Aufklärern nicht verborgen. Deshalb beorderte die Luftwaffe zwei Bomber vom Typ
He 111 in das Gebiet. Die Flugzeuge gehörten zum Kampfgeschwader KG 26, dem
sogenannten Löwengeschwader, das 1937 unter seinem ersten Kommodore, Oberst Dr.
Freiherr von Richthofen, aufgestellt worden war und dessen II. Gruppe zu diesem
Zeigpunkt in Kreta stationiert war. Die Maschinen dienten der Unterstützung des
deutschen Afrikakorps und flogen Angriffe gegen militärische Ziele in Ägypten.
Die Queen Mary aufspüren und versenken - so lautete der Auftrag an die Piloten
der He 111. Zu diesem Zweck führten beide Flugzeuge Spezialbomben von je 2.000
Kilogramm zur Bekämpfung von Seezielen mit sich.
Es war spät geworden auf diesem Patrouillenflug. Hell schien der Mond und
tauchte das Wasser der Roten Meeres in silbriges Licht. Aufgrund einer falschen
Zeitplanung entdeckten die Deutschen die Queen Mary dennoch nicht - das Schiff
hatte diesen Bereich zwei Stunden zuvor unbehelligt passiert. Dei Bomber waren
jedoch an der Grenze ihrer Reichweite angelangt und mussten umkehren. Eine
Maschine flog längs der Küste des Festlands, die andere Heinkel befand sich an
der Westküste des Sinai auf Heimatkurs. Statt des gesuchten Truppentransporters
entdeckte die Besatzung der letzteren mehrere britische Schiffe in der Strasse
von Gubal, die offensichtlich zum gemeldeten Konvoi gehörten. Sofort griffen
sich die Luftwaffen-Soldaten ein Ziel heraus, ein Schiff von respektabler
Grösse - das Todesurteil für die SS Thistlegorm.
Der Triumph der deutschen Besatzung war jedoch nur kurz. Während des Angriffs
erhielt das Flugzeug von dem einsetzenden britischen Sperrfeuer der anderen
Schiffe so massive Treffer, dass es notlanden musste. Auch die zweite Maschine,
die über dem Festland patrouillierte, wurde abgeschossen. Die Besatzungen
gerieten nach etwa drei Tage in britische Kriegsgefangenschaft, die sie bis zum
Kriegsende in Australien verbrachten.
Die Attacke der HE 111 kam überraschend. Die
meisten der Besatzungsmitglieder an Bord der Thistlegorm schliefen schon, viele
von ihnen an Deck in ihren Hängematten, denn dieser Oktobertag war heiss, und
unter Deck war es wegen der von der Tageshitze erwärmten Stahlplatten kaum
auszuhalten. Plötzlich, morgens gegen 1.30 Uhr, war das sonore Brummen von
Flugzeugmotoren zu hören, das näher kam. An einen feindlichen Flieger glaubte
zu diesem Zeitpunkt niemand, auch nicht an Bord des begleitenden Kreuzers HMS
Carlisle, der in der Nähe der SS Thistlegorm ankerte. Die He 111 flog so tief,
dass sie die Lademasten berührt hätte, wäre das Fahrwerk ausgefahren gewesen,
wie Zeugen später aussagten. Die Schiffsflak der SS Thistlegorm hatte keine
Chance einzugreifen. Es war keine Feuerbereitschaft, sondern nur
Alarmbereitschaft angeordnet, da die Schiffsführung auf den Schutz durch den Kreuzer
baute. Doch auch die Kanonen der etwa 600 Meter entfernten HMS Carlisle konnten
zunächst nicht eingesetzt werden, denn sie waren nicht in einen so niedrigen
Schusswinkel zum angreifenden Flugzeug zu bringen; man hätte die eigenen
Aufbauten oder andere Schiffe des Konvois getroffen.
Unmittelbar vor dem Ziel klinkte der Bordschütze der He 111 zwei Bomben aus,
die direkt auf die Bordwand zurauschten. Die Thistlegorm erbebte unter einer
gewaltigen Detonation. Die Explosionen rissen ein riesiges Loch in die
Schiffswand. An Bord herrschte Chaos und Tod. Dei nachfolgende Feuerwand und die
Explosionen an Bord waren weithin zu sehen und zu hören, vom ägyptischen
Festland bis hin zu den Bergen des nahen Sinai. Ob beide Bomben das Schiff
trafen, ist nicht eindeutig belegt. Fest steht aber, dass der oder die Treffer
mittschiffs lagen, direkt hinter der Brücke, im Sektor des vierten Laderaums -
dort, wo auch die beiden Lokomotiven festgezurrt waren.
Die Treffer hatten zwei gravierende Folgen. Zum einen explodierten die unter
Dampf stehenden Kessel der Maschine, die in diesem Schiffsabschnitt lagen. Zudem
ging etwa zehn Minuten nach dem Angriff ein grosser Teil der verstauten Munition
in die Luft. Granaten und Minen detonierten, ein unbeschreibliches Chaos
breitete sich aus. Dennis Gray, Kanonier auf der HMX Carlisle, erinnert
sich noch sehr gut an die Situation, die er beobachten konnte. Besonders
die 303 Gewehrmunition, allem voran die Leuchtpatronen, schossen wie kleine
Raketen aus dem Schiffsbauch in den Himmel.
Plötzlich, so Gray später, sah er, wie eine der beiden Lokomotiven rotglühend
in einem unglaublichen Funkenregen durch die Luft auf den Kreuzer zuflog, um
kurz darauf mit einem lauten Knall ins Meer zu stürzen. Wer sich im Bereich der
Bombenexplosion aufgehalten hatte, wurde auf der Stelle getötet. Seeleute vom
Vorschiff konnten dagegen in aller Eile die zwei einzigen noch verbliebenen
Rettungsboote abfieren und auch die Kameraden aufnehmen, die vom Heck aus ins
Wasser gesprungen waren. Ihr einziger Ausweg, denn ihnen war der Fluchtweg ach
vorn versperrt, und die Boote in ihrem Bereich waren von den Druckwellen der
Explosionen weggerissen worden.
20 Minuten nach dem Angriff ereignete sich nach
den Aussagen von Augenzeugen eine weitere schwere Detonation, die das Heck fast
komplett vom restlichen Schiffskörper abriss. Vermutet wurde, dass die Hitze im
Innern des Achterdecks der Thistlegorm so hoch war, dass die schweren Waffen
auch ohne Zünder explodierten. Massive Wrackteile flogen bis auf die Decks der
nahe liegenden Schiffe.
Zeugen erinnerten sich auch, dass ein schweres Metallstück von der SS
Thistlegorm ein fast 50 mal 50 cm grosses Loch in die Schiffswand der HMS
Carlisle riss, die später die Überlebenden aufnahm. Die Thistlegorm hingegen
brach wie ein zusammenklappendes Taschenmesser V-förmig zusammen und versank
binnen kürzester Zeit.
Mit dem Untergang versank die Thistlegorm auch in der Erinnerung ihrer
Zeitgenossen, obwohl noch Jahre danach britische Schiffe beim Passieren der
Untergangstelle als letzten Gruss an die gefallenden Soldaten ihre Flagge
setzten.
Letzte Änderung: Dienstag, 27. Dezember 2022 14:02